Deut­sche Li­te­ra­tur der Ge­gen­wart: Mi­cha­el Ro­es über­nimmt die 37. Gast­do­zen­tur für Schrift­stel­le­r­in­nen und Schrift­stel­ler

Der Schriftsteller Michael Roes wird am Montag, 3. Dezember, die 37. Paderborner Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universit?t Paderborn übernehmen. Die Gastdozentur wurde 1983 eingerichtet und ist ein Angebot der Universit?t für alle – nicht nur für Studierende –, die in Paderborn und Umgebung an Literatur interessiert sind. Marlene Streeruwitz und Markus Orths hatten zuletzt die Gastdozentur inne. Die Gastdozentur findet montags von 16.15 bis 17.45 Uhr im H?rsaal G auf dem Campus der Universit?t statt.

Michael Roes’ Gastdozentur tr?gt den Titel ?Melancholie des Reisens“ und startet am Montag, 3. Dezember, mit einer Auftaktlesung aus den Romanen ?Rub’ al-Khali“, ?Haut des Südens“ und ?Weg nach Timimoun“. Am 10. und 17. Dezember sowie am 7. Januar 2019 folgen drei poetologische Vorlesungen: ?Kains Grab“ (10. Dezember), ?Hinter den Mauern liegt die Stadt“ (17. Dezember) und ?Frühlings Erwachen“ (7. Januar). Abgerundet werden die Vorlesungen mit einer Abschlusslesung aus dem neuen Roman ?Herida Duro“ am Montag, 14. Januar.

Michael Roes, geboren 1960 in Rhede (Westfalen), studierte Philosophie, Psychologie und Germanistik an der FU Berlin. Zwischen 1987 und 1989 war er als Regie- und Dramaturgie-Assistent an der Berliner Schaubühne t?tig. Neben seinen vielen Reisen in den Nahen Osten, nach Afrika und Amerika promovierte Roes 1991 mit einer Studie zum Sohnesopfer. 1993/94 war er Fellow am Institute for Advanced Studies in Budapest, 2004 und 2006 Gastprofessor an der dortigen Central European University. Es folgten Gastprofessuren an verschiedenen Hochschulen, zuletzt 2017 an der Universit?t Bern. Au?erdem ist Roes Regisseur von Spiel- und Dokumentarfilmen. Er lebt zurzeit in Berlin.

Roes hat bereits zahlreiche Werke ver?ffentlicht, so etwa (in Auswahl) die Romane ?Rub’ al-Khali – Leeres Viertel“ (1996), ?Die Fünf Farben Schwarz“ (2009), ?Geschichte der Freundschaft“ (2010), ?Die Laute“ (2012), ?Die Legende von der Wei?en Schlange“ (2014) und ?Zeithain“ (2017) sowie den Gespr?chsband ?Engel und Avatar“ (mit Hinderk Emrich, 2011). Filme von ihm sind ?Timimoun“ (2005), ?elevation“ (2006), ?break-dance in china“ (2007/2012) und ?Bardo“ (2016).

Michael Roes erhielt für sein Werk u. a. folgende Auszeichnungen: den Else-Lasker-Schüler-Preis (1993), den Literaturpreis der Stadt Bremen (1997), den Alice-Salomon-Poetik-Preis (2006) und den Spycher Literaturpreis Leuk (2013).

 

Weitere Informationen zum Autor:

Im Schnittfeld von Kulturtheorie, Ethnographie und ?sthetischem Formungswillen erkundet Michael Roes seit den 1990er Jahren in Prosa, Drama und Film auf ganz eigentümliche Weise das Verh?ltnis von Oberfl?che und Tiefe, Wahrnehmbarkeit und Erz?hl-barkeit. Ausgedehnte Forschungsreisen in auch entlegene Teile der Welt bilden den Humus eines immensen Werkes, das sich in immer neuen Facetten dem Fremden und anderen Kulturen ann?hert, ohne dabei einem selbstbezüglichen interkulturellen Enthusiasmus in die Falle zu gehen und die Fremde bzw. das Fremde durch die eigene Faszination lediglich zu besetzen.

Michael Roes ist ein Grenzg?nger im ganz unmittelbaren Sinn, ein Grenzg?nger zwischen den Sprachen und Kulturen; er ist ein Grenzg?nger vor allem auch zwischen den Medien und Gattungen, zwischen Literatur/Drama, Film und Wissenschaft, der sich nicht nur mit Fragen von Rasse, Geschlecht und der Konstruktion des Fremden und Anderen auseinandersetzt, sondern auch mit dem Geltungsanspruch wissenschaftlicher Literatur. Dabei verwischt Roes immer wieder souver?n die Grenzen zwischen Wissenschaft und Literatur und stellt immer wieder aufs Neue die unwidersprochene Logik und Evidenz unserer Wirklichkeitswahrnehmung, das hei?t auch der unwidersprochenen Sprachwerdung der Welt, in Frage. Wenn es in Roes‘ 1993 mit dem Else Lasker-Schüler-Preis ausgezeichneten Stück ?Cham. Ein Symposium“ hei?t: ?Alles schon ein Dutzend Mal gesagt geh?rt durchlebt, wie soll ich diesen Wiederholungen entkommen, eine neue Sprache finden und dennoch verstanden werden“, ist damit der poetologische Nukleus eines hoch reflektierten Werkes markiert, das sich selbst immer gerade auch in seiner grenzüberschreitenden Gattungszugeh?rigkeit in Frage stellt, neue Tonarten und Schreibweisen erprobt, dabei vor allem vieles in einem zu sein, den Anspruch erhebt: Wissenschaft und Literatur, Wissenschaft als Literatur und Literatur als Wissenschaft, zugleich Reflexion von Kunst und Wissenschaft.

Auf kaum einen anderen Autor trifft die Rede vom postmodernen Erz?hlen und seinen Strategien mehr zu als auf Michael Roes, dessen Ann?herung an das Fremde von der Erkenntnis geleitet wird: ?Verstehen setzt weniger eine gemeinsame Sprache als eine gemeinsame Erfahrung voraus“ und der daraus die Konsequenz zieht, dem Fremden nicht zuzusprechen, sondern ihm nachzusprechen, um es zu verstehen. ?Aneignung durch Zuneigung“ hat Klaus R. Scherpe dieses Verfahren einer mimetischen Ethnopoesie genannt, in dem die Pluralit?t von Sinn und Identit?t geradezu sinnlich greifbar wird. Eine Einschr?nkung allerdings gilt dabei für Roes‘ Erkundungen fremder Kulturen: Roes hinterfragt Normierungen, l?st kulturell vermittelte Wahrnehmungsroutinen mit ihren vorderhand keiner Plausibilisierung mehr bedürfenden Bildern auf. Das alles aber ist nicht etwa ?sthetizistischer Manierismus; das Spiel mit Codes und Bedeutungen ist getragen vielmehr von einem ethischen und moralischen Anspruch, den Roes selbst folgenderma?en formuliert hat: ?Ich versuche gegen die postmoderne Unterstellung anzuschreiben, es gebe kein Gut und B?se mehr, es gebe keine Werte zu vermitteln. Der modernen Form zum Trotz bin ich in dieser Hinsicht konservativ.“