?Der glob­ale Wasser­be­darf wird weit­er steigen“

Interview zum Weltwassertag 

Plastikmüll in den Meeren, hei?e Sommer und Wassermangel, Hochwasser und ?berschwemmungen oder zwischenstaatliche Wasserkonflikte: die Ressource Wasser und der Umgang mit ihr liefern reichlich Gespr?chsstoff. Johanna Sackel und Anja Westermann, an der Universit?t Paderborn spezialisiert auf Umweltgeschichte, erkl?ren im Interview zum Weltwassertag 2019, wodurch sich unsere Gew?sser schützen lassen, wie wahrscheinlich künftig globale Kriege um Wasser sind und wie Verbraucher verantwortungsvoll mit Wasser umgehen k?nnen.

Frau Sackel, Frau Westermann, unsere Meere werden t?glich durch verschiedene Dinge verschmutzt – mit dramatischen Folgen für Wasserqualit?t und Meeresbewohner. Sch?tzungen zufolge gelangt etwa pro Minute die Ladung eines Müllwagens voller Plastik in unsere Ozeane. Wie lassen sich die globalen Gew?sser vor Verunreinigungen schützen und welche Institutionen haben hierbei überhaupt eine Handhabe?

Sackel: Die Frage nach dem Schutz vor Verunreinigungen ist in der Theorie leicht zu beantworten: Regulierung und Vermeidung. Praktisch ist das jedoch kompliziert und das hat verschiedene Gründe, wie das Beispiel des Plastikmülls verdeutlicht. Erstens sind die Ozeane ein weltumspannendes System: Wird am einen Ende der Welt Abfall eingebracht, betrifft das früher oder sp?ter auch andere Erdteile. Das meiste Plastik gelangt über Flüsse ins Meer. Spitzenreiter sind der chinesische Jangtsekiang und der indische Ganges. Daher reicht es auch nicht, wenn zum Beispiel Kenia sagt ?Wir verbieten Plastiktüten“ und dann gelangt kein Abfall mehr ins Meer. Hier br?uchte es eine verst?rkte internationale Zusammenarbeit und ein globales Koordinieren von Ma?nahmen. Es gibt mehrere internationale Abkommen, die die Meeresverschmutzung behandeln. So ist im Seerechtsübereinkommen von 1994 festgeschrieben, dass Staaten sich über Verschmutzungsprobleme vom Lande aus miteinander abstimmen sollen. Au?erdem sind die Einzelstaaten angehalten, geeignete Gesetze zu verabschieden. Daneben gibt es Einzelabkommen, beispielsweise um Verschmutzung durch Schiffe oder ?l zu verhindern.

Zum Plastikmüll gibt es bisher keine bindende internationale Vereinbarung, obwohl Meeresverschmutzung durch Plastik bereits seit den 1970ern bekannt ist. Allerdings wurde das Problem damals nicht so wahrgenommen wie heute. In den letzten 20 Jahren nahm die Plastikproduktion nochmals enorm zu, ohne von entsprechenden Regulierungsma?nahmen begleitet zu werden. Dass wir jetzt so einen Hype um das Thema erleben, liegt an den wirkungsvoll organisierten Kampagnen der Umweltschutzorganisationen und an der gr??eren Reichweite von Informationen. ?ber die Social Media-Kan?le verbreiteten sich in Windeseile Bilder des Plastikteppichs im Nord-pazifik oder Meldungen über einen toten Wal mit 40 Kilo Plastik im Magen. Wegen dieses neuen Problembewusstseins werden auch Rufe nach globaler Steuerung lauter.

Hier begegnet uns dann die grunds?tzliche Problematik internationaler Abkommen. Diese sind nur wirkungsvoll, wenn sie von den einzelnen Staaten anerkannt, sprich ratifiziert und damit in nationales Recht ?übersetzt“ und damit verbindlich werden. Zudem fehlt es h?ufig an Sanktionsmechanismen, weshalb Verst??e nicht geahndet werden k?nnen. Erst vergangene Woche gab es in Nairobi, dem Sitz des Sekretariats des UN-Umweltprogramms, eine nur wenig beachtete Konferenz, bei der auch die Plastikfrage verhandelt wurde. Ma?nahmen zur Plastikvermeidung und vor allem zum Recycling, das in ?rmeren Staaten bisher kaum praktiziert wird, sollen weltweit wirksam werden. Es blieb allerdings bei diesen ?Absichtsbekundungen“, wie es in den Berichterstattungen immer gerne kritisch hervorgehoben wird. Daher fand die Konferenz auch so wenig ?ffentliche Resonanz. Um zu verbindlichen Abmachungen zu kommen, braucht es aber eine aufwendige Kompromissaushandlung. Auch wenn der Problemdruck hoch sein mag: Am Ende h?ngt es davon ab, ob m?glichst viele Staaten eine für sie annehmbare L?sung verabschieden k?nnen. Ist dies nicht der Fall, fehlt es internationalen Vereinbarungen an Rückhalt und ihre Wirkung verpufft.

Flüsse machen nicht an Landesgrenzen Halt, Meere umgeben verschiedene Staaten und rund ein Sechstel der Weltbev?lkerung lebt in Regionen, in denen akuter Wassermangel herrscht. Konflikte um die Ressource Wasser sind so vorprogrammiert. Welche gro?en Auseinandersetzungen um Wasser gibt es aktuell, was steht uns vermutlich noch bevor und mit welchen Folgen?

Westermann: Wasser ist überlebenswichtig, um eine Volkswirtschaft zu erhalten und zu entwickeln. Von ihm sind Ern?hrungssicherheit, Gesundheit, Industrie und Umweltqualit?t abh?ngig. Ist der Zugang zu Wasser eingeschr?nkt, droht ein Verfall des allgemeinen Existenzniveaus, was zu Verteilungskonflikten um die Ressource Wasser führen kann. Insbesondere in internationalen Flussgebieten, wo circa 40 Prozent der Weltbev?lkerung wohnen, k?nnte es in den n?chsten Jahren zu Konflikten kommen, da die Staaten unterschiedliche Meinungen über die Wasserzuteilung haben.

Auseinandersetzungen um knappe Wasserressourcen sind komplexe Ph?nomene und eingebettet in gr??ere Konfliktgemenge. Wissenschaftliche Studien sind zu zwei grundlegenden Erkenntnissen gekommen. Erstens: Globale Bedrohungen durch internationale Kriege um Wasser sind sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher sind Wasserverteilungskonflikte auf substaatlicher Ebene, die auch heute bereits schon zum Teil gewaltsam ausgetragen werden – wie in Darfur und Kenia zwischen sesshaften Bauern und nomadischen Hirten oder in Bolivien bei den gewaltsamen Protesten gegen die Privatisierung von Wasser. Dabei gilt: Die Kontrolle von Wasserressourcen ist meist unmittelbar mit der Kontrolle über Land verbunden. Die zweite Erkenntnis der Studien: Wasserverteilungskonflikte führen weit h?ufiger zu Kooperation als zur Konfrontation. Zwar tut sich die internationale Staatengemeinschaft schwer mit rechtlichen Rahmenbedingungen. Das zeigt sich daran, dass die Konvention zu internationalen Wasserverteilungskonflikten erst 2014 in Kraft trat, obwohl sie bereits seit den 1950ern diskutiert und 1997 verabschiedet worden war. Auf der Welt gibt es aber mehr als 400 meist bilaterale Wasserabkommen, von denen an die 100 nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossen wurden. Diese Regelungen zur Wasserverteilung sind recht belastbar und selbst milit?rische Konflikte k?nnen ihnen nichts anhaben. Diese Wasserabkommen sind vor allem Instrumente der Konfliktl?sung durch Inspektionen, Datenaustausch und gegenseitige Besuche. Damit eignen sie sich für politische Zwecke und Konfliktl?sungen, selten aber für eine nachhaltige Entwicklung der Ressource Wasser. Deshalb gibt es auch keinen Grund, unbesorgt zu sein. Gerade wurde der neue Weltwasserbericht der UNESCO ver?ffentlicht. Demnach haben mehr als zwei Milliarden Menschen keinen dauerhaften Zugang zu sauberem Trinkwasser. In Subsahara-Afrika sind es sogar 76 Prozent der Bev?lkerung. Und der globale Wasserbedarf wird aufgrund von Bev?lkerungswachstum weiterhin steigen. Dabei stehen Wasserkreislauf und Klima in direkter Wechselbeziehung zueinander.

Wassermangel und Dürreperioden sind lebensbedrohlich, Hochwasser und ?berschwemmungen sind es auch. Beide Extreme werden weiter zunehmen, wenn der Klimawandel nicht effektiv bek?mpft wird. Wie beurteilen 必威体育 die derzeitigen Klimaschutzbemühungen der internationalen Staatengemeinschaft?

Westermann: Die Vereinten Nationen haben 193 Mitgliedstaaten, das hei?t 193 verschiedene politische, ?konomische und kulturelle Rahmenbedingungen und 193 unterschiedliche Interessen. Dementsprechend tut sich die internationale Staatengemeinschaft sehr schwer mit bindenden Klimaschutzabkommen. Hinzu kommt, dass Erfolge nachhaltiger Entwicklung h?ufig erst deutlich sp?ter sichtbar werden. Dagegen versprechen nicht-nachhaltige Entwicklungen schnelle ?konomische Erfolge – insbesondere im Energiesektor. Gepaart mit instabilen Systemen und politischem Druck ist das für unsere Zukunft keine gute Konstellation. Selbst wenn in den letzten Jahren die Klimaschutzziele recht klar formuliert wurden, sind doch die Mittel erkl?rungsbedürftig geblieben. Nichtsdestotrotz dürfen wir wom?glich verhalten optimistisch sein, denn wenigstens hat die internationale Klimapolitik in den vergangenen zwanzig Jahren rasant an Bedeutung gewonnen. Die Klimakonferenzen ziehen immer mehr Teilnehmer und Beobachter an und erzielen eine immer gr??ere Medienaufmerksamkeit. Das erzeugt auch mehr Handlungsdruck für die internationale Staatengemeinschaft.

Sackel: Das stimmt. Wobei das Wort ?Gemeinschaft“ nicht unbedingt w?rtlich genommen werden sollte. In den internationalen Klimaverhandlungen tritt die sogenannte Nord-Süd-Problematik deutlich zutage. 必威体育 belgeitet internationale Verhandlungen über Umwelt und Entwicklung seit der Unabh?ngigkeit der ehemaligen Kolonien. Viele Staaten des Südens fragen sich, wieso sie Umwelt- und Klimaschutzauflagen zustimmen sollen, die Probleme betreffen, die in der Vergangenheit ma?geblich vom hochindustrialisierten Norden verursacht wurden. Hinzu kommt, dass Staaten, die ehemals Vorreiter beim Klimaschutz waren – wie die Bundesrepublik Deutschland – gewisserma?en ?Wasser predigen und Wein saufen“. Absichtsbekundungen auf internationalen Konferenzen sind unglaubwürdig, wenn daheim die Autokonzerne Vorrang haben und die Energiewende hakt. Aber vielleicht sind wir hier auch einfach noch zu wenig betroffen. Ein steigender Meeresspiegel zum Beispiel trifft ja zuallererst kleine Inselstaaten wie Fidschi oder die Malediven.

Die Vereinten Nationen haben 2016 ?17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ verabschiedet. Zwei betreffen explizit die Ressource Wasser: ?Sauberes Trinkwasser und Sanit?rversorgung für alle“ und ?Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Meere“. Was wird konkret getan, um dies zu erreichen?

Westermann: Eigentlich haben sogar nahezu alle 17 Ziele mit der Ressource Wasser zu tun, da der Zugang zu Wasser die sozio?konomische Entwicklung eines Staates bestimmt. Vor allem mit Blick auf Ern?hrungssicherheit und sauberem Trinkwasser werden verschiedene M?glichkeiten diskutiert, um ein integriertes und sicheres Wassermanagement herzustellen. Der erste Baustein ist ein Effizienzgewinn. Das bezieht sich sowohl auf gesteigerte Effizienz von Zuchtpflanzen, die mehr Ertrag bei gleichem Wasserverbrauch bringen, als auch auf Landmanagement und effizientere Bew?sserungssysteme. Denn h?ufig erreichen nur 25 bis 30 Prozent des zugeführten Wassers die relevanten Nutzpflanzen. Ein weiterer Punkt w?re daher, die Infrastruktur durch gro? angelegte Staud?mme und Kanalsysteme zu verbessern, um eine verbesserte Wasserzufuhr zu gew?hrleisten. Allerdings wird die Nachhaltigkeit solcher Projekte mittlerweile auch im Hinblick auf die massiven sozialen Folgen, wie beispielsweise das Umsiedeln ganzer D?rfer für Staudammprojekte, kontrovers diskutiert.

Politische und institutionelle Reformen sind ebenfalls ein Baustein für ein verbessertes Wassermanagement. Insbesondere in der Landwirtschaft ist die Ressource Wasser in vielen Regionen stark unterbewertet, was ein Grund für ?bernutzung und Verschwendung ist. H?ufig fehlt es an klar geregelten Nutzungsrechten und konsequenter Durchsetzung. Aktuell wird au?erdem ein Konzept zum ?virtuellen Wasserhandel“ diskutiert: Wasserarme Regionen sollen vermehrt wasserintensive Güter importieren, sodass mehr Wasser für au?erlandwirtschaftliche Zwecke, wie Industrie und Privathaushalte, zur Verfügung stünde. Dafür müssen konkurrenzf?hige Exportsektoren aufgebaut werden. In wasserarmen L?ndern wird dies bereits seit langem versucht – jedoch nur mit m??igem Erfolg. Eine Lebensstil?nderung w?re ein weiterer Weg. Wenn wir unseren Konsum von tierischen Nahrungsmitteln, insbesondere Fleisch, verringern, würde das auch den Wasserverbrauch reduzieren. Es gibt also bereits M?glichkeiten, den globalen Herausforderungen zu begegnen. Allerdings ben?tigen diese Ma?nahmen Zeit, konsequenten politischen Willen und weitreichende finanzielle Mittel.

Sackel: Das Nachhaltigkeitsziel zu den Meeren wurde 2017 ausführlich auf einer gro?en UN-Ozeankonferenz diskutiert. Hier bekr?ftigte die Abschlusserkl?rung Verantwortung auf allen Ebenen: Staaten werden aufgefordert, Gesetze zum Schutz der Meere zu formulieren, Unternehmen sollen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen, indem sie sich dazu verpflichten, Regelungen einzuhalten, und die Verbraucher sollen ihren Teil beitragen, indem sie zum Beispiel nur nachhaltig gefangenen Fisch kaufen. Das sind notwendige, aber eben unverbindliche Ziele. Ich denke, es ist wichtig, dass eine Mehrheit der Bev?lkerung sich selbst betroffen fühlt, damit sich ein Wunsch nach Ver?nderung entwickelt. Dies gilt vor allem für die wohlhabenden Staaten.

Und um nochmals auf das Plastikproblem zurückzukommen: Hier sollte die Priorit?t künftig darauf liegen, Müll zu vermeiden. Denn selbst das scheinbar effiziente deutsche Recyclingsystem funktioniert nur, weil ein Gro?teil des Abfalls in andere Staaten exportiert wird, etwa nach China. Diese ?Externalisierung“ der Kosten des hiesigen Konsums ist ein Problem, das eine breitere Diskussion erfahren müsste. Am Beispiel des Plastikmülls in den Meeren zeigt sich, wie vermeintlich ?aus dem Auge, aus dem Sinn“ verbannte Probleme zu uns zurückkehren.

Stichwort Nachhaltiger Konsum: Wie kann ich pers?nlich verantwortungsvoll mit der Ressource Wasser umgehen?

Sackel: Beim verantwortungsvollen Umgang mit den Meeren kann jeder einen pers?nlichen Beitrag leisten, indem er in der Drogerie Kosmetikprodukte ohne Mikroplastik kauft. Dazu gibt es Ratgeber der einschl?gigen Umweltschutzorganisationen. Obst und Gemüse im Supermarkt nicht in Plastiktüten zu verpacken, sondern auf wiederverwendbare Netze umzusteigen, kann ebenfalls helfen, Müll zu vermeiden. Auch gibt es immer mehr sogenannte Unverpackt-L?den, in denen plastikfreies Shampoo auch ohne Plastikhülle erh?ltlich ist. Ich glaube, dass es vor allem steter ?ffentlicher Druck ist, der Ver?nderungen bewirken kann und die Bereitschaft, nicht immer den bequemsten Weg zu gehen. Ein aktuelles Beispiel liefert das ?Klima-Kabinett“ der Bundesregierung, dessen Gründung wohl auch als eine Reaktion auf die ?Fridays for Future“-Demonstrationen verstanden werden kann.

Westermann: Wasser erscheint uns in Deutschland als selbstverst?ndliches Konsumgut. Es kommt jederzeit sauber und trinkbar aus dem Hahn. Dass Wasser als eine der wichtigsten natürlichen Ressourcen nur in begrenztem Umfang verfügbar und deshalb schützenswert ist, haben nur wenige vor Augen. Wir sollten Wasserverschwendung und -verunreinigung in jeglicher Form bewusster wahrnehmen und mehr thematisieren. Neben der bereits erw?hnten Lebensstilver?nderung beim Konsum tierischer Produkte und bei Plastik sollte beim Einkauf st?rker auf regionale und saisonale Güter geachtet und wasserintensive Lebensmittel wie Avocado, Kakao oder Sojabohnen nur in Ma?en genossen werden. Ich pl?diere dafür, Wasser st?rker wertzusch?tzen und gewissenhaft mit dieser lebenswichtigen Ressource umzugehen.

Interview: Simon Ratmann, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto (Universit?t Paderborn, Simon Ratmann): An der Universit?t Paderborn spezialisiert auf Umweltgeschichte: V. l. Anja Westermann und Johanna Sackel.
Foto (mopsografie, ?water tap“/ flickr / CC BY-ND 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0)

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